Für Pegida gehört die vermeintliche Lügenpresse zu den wichtigsten Nachrichtenquellen auf Facebook. Berichte von Journalist*innen bringen dort auch die meisten Klicks. Dabei hat Pegida vor allem fünf Lieblingsthemen.

Buhrufe schallen über den Parkplatz des Möbelgeschäfts Hammer, als Angela Merkel dort am 26. August 2015 aus dem Auto steigt. Die Polizei hat eine Absperrung gezogen zwischen den Demonstrierenden und der Kanzlerin. Umwuselt von Sicherheitspersonal und Journalist*innen richtet Merkel den Blick auf ihren Gastgeber. Der schüttelt ihre Hand sekundenlang. Es ist Jürgen Opitz, Bürgermeister von 16.500 Heidenauer*innen – und neuerdings auch Verantwortlicher für eine Flüchtlingsunterkunft in den Räumen des ehemaligen Baumarkts Praktiker, nur wenige Schritte entfernt vom Möbelgeschäft Heim.

Die Unterkunft muss von den Demonstrant*innen dreifach abgeschirmt werden, zuerst mit einer Reihe aus Bauzäunen mit Plastikverschlag, dann mit einer Kolonne aus Polizeivans, zuletzt mit einem line up aus sonnenbebrillten Polizist*innen. Vor ihnen schultert ein Journalist die Kamera und hält sie stoisch auf die Demonstrierenden. „Volksverräterin“ haben sie für die Kanzlerin auf ein Schild geschrieben. Für den Journalisten haben sie eine andere Beschimpfung parat. Im unermüdlichen Chor brüllen sie ihm vier Silben entgegen, die der Tonassistent per Angel mit dem Mikrofon auffängt: „Lü-gen-pres-se! Lü-gen-pres-se!“

Der Verein dieser Lügenpresse-Rufer*innen heißt Pegida, und nimmt man die Fanzahlen der Pegida-Fanseiten auf Facebook ernst, dann würden hunderttausende Nutzer*innen dem kleinen Lügenpresse-Chor von Heidenau einen Daumen nach oben geben. Auf Facebook sammelt Pegida nicht nur Likes, sondern teilt seinen Fans auch das Neuste über die sogenannte Flüchtlingskrise mit. Wer über die Fanseiten von Pegida scrollt, stößt aber auf Beiträge, die man dem Lügenpresse-Chor von Heidenau zunächst nicht zugetraut hätte. Es sind Links zu Artikeln der geschmähten Lügenpresse, und sie werden nicht gepostet, um sich über die Verfehlungen der Presse zu ergehen – sondern um zu informieren.

Durchleuchtet: Die 11 größten Pegida-Fanseiten auf Facebook

Für meine Masterarbeit aus dem Jahr 2017 habe ich diese Beobachtung mit Zahlen untermauert. Untersucht habe ich alle großen, deutschsprachigen Pegida-Fanseiten auf Facebook, die mindestens 10.000 Fans haben (Stand Januar 2017): Pegida Dresden, Legida (aus Leipzig), Pegida Österreich, Pegida Bayern, Pegida BW-Bodensee, Pegida NRW, Pegida Wien, Pegida Europa, Pegida Schweiz, Pegida Nürnberg, Pegida Hamburg und Pegida Kassel.

Von diesen Seiten habe ich mir jeweils jene 20 Beiträge vorgeknöpft, die im Jahr 2016 am häufigsten geteilt wurden – und dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit am meisten Reichweite erzielt haben. Ermitteln lässt sich so ein Ranking mit dem Facebook-Tool Fanpage Karma.

Die meistgeteilten Pegida-Beiträge sind ungleich übers Jahr 2016 verteilt. Zu Beginn wurden deutlich mehr Beiträge besonders häufig geteilt. Im Frühjahr nimmt das Interesse der Nutzer*innen an den Facebook-Seiten offenbar ab.

Pegida liest Tageszeitung

Wovon handeln die reichweitenstärksen Beiträge von Pegida? Wer hier Infos aus alternativen Nachrichtenmedien erwartet, aus rassistischen Blogs und Online-Zeitungen für Verschwörungstheorien – der täuscht sich. Denn die meisten Facebook-Beiträge zitieren die Artikel von Journalist*innen, die für traditionelle Nachrichtenmedien arbeiten, etwa für Lokalzeitungen oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Kurzum: Pegida postet ständig Artikel der vermeintlichen Lügenpresse und gewinnt damit Reichweite.

Volle 43 Prozent (95 von 220) der reichweitenstärksten Facebook-Beiträge von Pegida beziehen sich auf traditionelle Nachrichtenmedien (blau markiert). Nur 24,5 Prozent beziehen sich auf alternative Nachrichtenmedien (orange markiert). Insgesamt 6 Beiträge zitieren sowohl traditionelle als auch alternative Nachrichtenmedien (blau-orange markiert).

Im Durchschnitt wurden die reichweitenstärksten Beiträge der untersuchten Pegida-Fanseiten rund 511 Mal geteilt. Besonders häufig geteilte Beiträge kommen auf bis zu 9601 Shares, besonders selten geteilte Beiträge auf 20 Shares.

Am häufigsten zitiert hat Pegida deutsche Tageszeitungen, nämlich in 40 von insgeasmt 95 Facebook-Beiträgen, die sich auf journalistische Berichte beziehen. Auch häufig zitiert wurden überregionale Tageszeitungen aus Österreich und der Schweiz, namentlich Kurier, Krone, Blick, Heute und 20 min. Auf Bild.de und Focus Online entfallen nur geringe Anteile. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird genauso häufig zitiert wie N24/ Welt.de, nämlich in 9 von 95 Beiträgen. Nur je einmal beziehen sich Zitate auf Zeit Online und Spiegel Online. Das Portal SZ.de erscheint im Datensatz überhaupt nicht.

Keine Lügenpresse, aber Rassismus

Von der sogenannten Lügenpresse war in den Facebook-Beiträgen kaum etwas zu spüren. Die Berichterstattung wurde in nur 6 von 95 Beiträgen angezweifelt. Nicht angezweifelt wurde sie in 90 von 95 Beiträgen, was 94,7 Prozent entspricht. Explizit gelobt wurde die Berichterstattung einmal.

Das Ergebnis untermauert: Es kann keine Rede sein kann von technisch erzeugten Filterblasen, die Pegida-Fans und andere hermetisch von seriösen Nachrichtenquellen abschotten – auch wenn so etwas in Medienberichten häufig vermutet wurde. Extrem einseitig ist die Nachrichtenauswahl in den meistgeteilten Pegida-Beiträgen trotzdem. Gerade mal fünf Themen sind es, von denen die meisten Pegida-Beiträge handeln:

  1.  Ablehnung oder radikale Kritik an Eingewanderten oder Geflüchteten
  2.  Ablehnung oder radikale Kritik am Islam
  3.  Ablehnung oder radikale Kritik an den Medien
  4.  Ablehnung oder radikale Kritik an Eliten
  5.  Erzählung vom angeblich bedrohten deutschen Volk

Eine ähnliche Aufteilung von Pegidas Kernthemen hatten sich auch schon mal Sozialwissenschaftler*innen überlegt. Aus meiner Untersuchung geht hervor: Die meisten der meistgeteilten Pegida-Beiträge, die journalistische Berichte zitieren, handeln von mindestens einem dieser Themen. Insgesamt sind das 88 von 95 Facebook-Beiträgen.

Das Lieblingsthema von Pegida ist dabei eindeutig Ablehnung oder radikale Kritik an Eingewanderten oder Geflüchteten, das ist ein klar rassistischer Standpunkt. Das Thema ist in 51 von 95 Beiträgen zu finden. Der damit ausgedrückte Hass ist auch Dreh- und Angelpunkt der anderen meistgeteilten Beiträge, denn die vier weiteren Kernthemen sind damit eng verknüpft: Pegida zufolge können und wollen die Eliten, inklusive der Medien, das vermeintliche Flüchtlingsproblem nicht lösen; das deutsche Volk ist laut Pegida deshalb von mutmaßlich muslimischen Geflüchteten bedroht.

Journalist*innen sammeln Klicks von Rechts

Auf Grundlage meiner Analyse lässt sich der typische, reichweitenstarke Pegida-Beitrag wie folgt beschreiben: Er zitiert eine regionale Tageszeitung mit einem direkten Link und wird mehrere hundert Mal geteilt. Dabei drückt der Beitrag eine radikal kritische oder ablehnende Haltung gegenüber Eingewanderten oder Geflüchteten aus. Die Richtigkeit der zitierten Inhalte wird nicht angezweifelt.

Es ist augenscheinlich, dass einzelne Redaktionen diese Mechanismen offenbar nutzen, um Klicks von Rassisten zu gewinnen. Pegidas Fanpage-Betreiber*innen mochten einige Artikel wohl so sehr, dass sie wörtlich daraus zitierten. Die Zeilen: „Bundespolizist packt aus. ‚Wir dürfen Flüchtlinge nicht mal festhalten’“ und „In den letzten paar Monaten, habe ich genau eine Strafanzeige gegen einen Deutschen geschrieben. Der Rest waren nur Flüchtlinge“ stammen aus einem Interview von Bild.de und wurden von Pegida NRW auf Facebook wörtlich übernommen.

Nachrichten-Einfalt statt Nachrichtenvielfalt

Bemerkenswert ist auch die Wortwahl eines Artikels der „Mitteldeutschen Zeitung“. Er beschreibt ein Gewaltdelikt unter Jugendlichen als Konflikt zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen. Dabei dient die Herkunft der Beteiligten auf stigmatisierende Weise der Zuordnung von Täter und Opfer:

„Zwei 15-Jährige aus Afghanistan hatten zwei Mädchen belästigt. Sie wollten mit den Flüchtlingen nichts zu tun haben. Eines der beiden Mädchen, eine 15-Jährige, griff zum Pfefferspray. Daraufhin schlug ihr einer der Flüchtlinge ins Gesicht. Das bekamen mehrere Deutsche mit. Ein 20-Jähriger ging dazwischen. Er wurde von einem Flüchtling mit einer zerbrochenen Flasche am Arm verletzt.“ Auch Teile dieses Artikels hat eine Pegida-Fanseite übernommen – ohne etwas hinzuzufügen.

Wenn Pegida auf Facebook journalistische Artikel zitiert, sind die Beiträge also nicht etwa ausgewogen und differenziert. Im Gegenteil: Pegida selektiert und zitiert gezielt journalistische Berichte, um die eigenen Hetze zu untermauern. Man könnte meinen, die Nachrichtenvielfalt im Netz würde allgemein zur Aufklärung beitragen. Doch im Fall der deutschen Pegida-Fanseiten scheint das aufklärerische Potenzial des Internets durch die Mündigkeit einiger googelnder, postender Nutzer ins Gegenteil umzuschlagen.

Foto: Kalispera Dell via Wikimedia Commons (CC-BY-3.0)