Warum die Notizen zu meinem Impulsvortrag auf der #top30mm-Konferenz ausdrucken, wenn ich sie auch bloggen kann.

Liebe Kolleg:innen. Wir alle könnten hier und jetzt die nächste große journalistische Enthüllung finden. Wir brauchen dafür nur ein Gerät mit Internet. Denn die Infos dazu liegen offen herum: Im Internet. Das Problem ist nur, wir können sie schwer lesen.

Ich spreche über Recherche zu offen rumliegenden Infos im Netz. Auch bekannt als Open Source Intelligence. Kurz OSINT.

Wir alle können ein bisschen OSINT, denn es ist schon OSINT wenn wir mit einer App den Weg zum nächstbesten Falafel-Laden finden. Dafür braucht eine Person ein paar Sekunden.

Es ist aber auch OSINT, wenn man rausfindet, wer die Person ist, die seit 14 Jahren offenbar Fäden hinter Deutschlands meistbesuchter Pornoseite zieht. Dafür brauchen acht Personen ein halbes Jahr.

Meine These ist: OSINT ist eine genauso wichtige Recherchemethode wie Pressetermine, direkte Gespräche, IFG-Anfragen oder Leaks.

Bei dem Stichwort Leak ein kleiner Hinweis für alle Zuhörenden, die möglicherweise sonderbare Dinge gesehen haben. Man kann mir immer anonym Hinweise schicken unter sebmeineck.de, Kontakt, am besten mit einem Gerät, das nicht der Arbeitgeberin gehört.

Aber zurück zu OSINT. Ich finde: OSINT ist eine der wichtigen Recherchemethoden. Aber es gibt ein Problem.

OSINT schreckt ab. Es geht um Websitearchive und Domain-Datenbanken, um Social-Media-Tools und spezialisierte Suchmaschinen.

Wenn man die das erste Mal benutzt, klappt immer irgendwas nicht. Auch nicht beim dritten Mal. Es vergehen Tage. Man glaubt, da bin ich nicht der Typ für. Zwischen mir und der möglichen, journalistischen Entdeckung steht die beharrliche Sorge, dass da nix mehr draus wird.

Mir geht das ständig so. Ich schreibe seit 17 Monaten einen monatlichen Newsletter über Online-Recherche. In dem Newsletter geht es um OSINT-Werkzeuge und um Making-of-Interviews von OSINT-Recherchen.

Was ich über OSINT gelernt habe, steht in dem Newsletter. Was nicht in dem Newsletter steht, weiß ich mit gewisser Wahrscheinlichkeit nicht. Das bringt mich regelmäßig in Verlegenheit, wenn mir Kolleg:innen Fragen zu ihren OSINT-Problemen stellen. Die Fragen sind spannend, aber ¯\_(ツ)_/¯.

Aus Transparenzgründen sollte ich nicht unerwähnt lassen, dass jede zweite Ausgabe des Newsletters auch im medium magazin erscheint, das diese Konferenz veranstaltet. In dem gedruckten Magazin werde ich Recherche-Profi genannt. Eine Bezeichnung, die mir etwas unangenehm ist.

Das Wort ist technically korrekt. Recherche gehört zu meinem Hauptberuf. Aber profimäßig fühle ich mich bei meinen eigenen OSINT-Recherchen selten. Oft fühle ich mich wie ein Anfänger. Beruhigenderweise geht es vielen Kolleg:innen auch so.

Der Newsletter ist mein persönlicher Weg, OSINT zu üben. Ich glaube, das klappt am besten, wenn die Übung so praktisch wie möglich ist. Deshalb gibt es in jeder Ausgabe ein Interview darüber, wie eine gelungene Recherche abgelaufen ist.

Mein Lieblingszitat aus den Interviews bisher kommt von Xavier Greenwood von Tortoise Media in London. Er hat mit seinem Team rausgefunden, wer der Hauptanteilseigner von MindGeek ist.

MindGeek ist der Konzern hinter der Pornoplattform Pornhub, eine der meistbesuchten Websites der Welt. Der Hauptanteilseigner hat sich jahrelang vor der Öffentlichkeit versteckt. Dabei hätte praktisch jede Person mit Internetzugang ständig die Gelegenheit gehabt, ihn zu finden. Jede Person! Dank OSINT.

Xavier Greenwood hat mir zu OSINT-Recherchen das hier gesagt:

„Es ist ‚trial and error‘. Viele Dinge klappen nicht. Du musst dich hinsetzen und überlegen: Wie kriege ich die Info, die ich brauche? Es gibt immer etwas, das dich weiterbringt.

Überraschenderweise haben die komplizierten Sachen fast nie funktioniert. Ehrlich! Was funktioniert hat, waren die offensichtlichen Sachen. Ein Bild auf Facebook, Followings auf Instagram, Metadaten eines Fotos.

Das war wohl meine wichtigste Lektion: Manchmal musst du durch die Vordertür gehen und schauen, ob du durchkommst.“

Ich ende mit einer offenen Frage, die mich nach wie vor ratlos zurücklässt. Wie holen wir für unsere tägliche Arbeit OSINT raus aus der Nerdecke? Vielen Dank.