Können Fake News für 400.000 Dollar eine Wahl beeinflussen? So haben viele Nachrichtenredaktionen getitelt, als sie den Bericht einer IT-Sicherheitsfirma gelesen haben. Dabei ist die Panik unbegründet.
| Recherche: Victoria Michalczak, Sebastian Meineck |
Auch wenn Zahlen richtig sind, müssen sie nicht stimmen. Die IT-Sicherheitsfirma „Trend Micro“ hat im Juni eine Analyse über das dunkle Geschäft mit Fake News veröffentlicht – und spektakuläre Schlagzeilen ausgelöst.
- „Das Millionengeschäft mit der Lüge“ – heute.de
- „Fake News: Content-Dienst bietet 12-monatige Kampagne für 400.000 Dollar“ – t3n.de
- „Zwölfmonatige Fake-News-Kampagne: Für 400.000 Dollar zu haben“ – derStandard.at
- „Kampf gegen Fake News. Meinungsmache gegen Geld“ – tagesschau.de
- „Das Netz ist ein Einkaufsparadies für Hetzer“- faz.net
„The Fake News Machine“ lautet der Titel der Analyse, (PDF) das klingt nach einem ausgefeilten System. In einem Video der „Tagesthemen“ vom 13. Juni 2017 heißt es: „Professionell wirkende Nachrichten ohne Wahrheitsgehalt: Das Geschäft damit floriert. Die Studie nennt erstmals Preise. Eine 12-monatige Fake News-Kampagne zur Beeinflussung einer Wahl zum Beispiel kostet im Darknet demnach 400.000 US-Dollar.“
Zerlegt man das Zitat in seine Teile, entfaltet sich ein Lehrstück über Technik-Paranoia – und die Überbewertung von Forschungsergebnissen.
„Eine 12-monatige Fake News-Kampagne zur Beeinflussung einer Wahl zum Beispiel kostet […] demnach 400.000 US-Dollar.“
Irreführend. Die „Trend Micro“-Analyse besteht vor allem aus spekulativen Rechenbeispielen. Die Expert*innen haben die Angebote dubioser Firmen durchforstet. Die Firmen behaupten, sie würden gegen Bezahlung gefälschte Nachrichten verbreiten, gefälschte Follower besorgen und Leute mit Spam überschütten. Aus diesen Angeboten haben sich die Expert*innen auf dem Reißbrett Pakete zusammengestellt: Hier ein falscher YouTube-Account mit falschen Abonnenten, dort ein Blogeintrag im Stil einer Breaking News.
Ausprobiert hat „Trend Micro“ die Angebote nicht. Auf Anfrage bestätigen die Expert*innen, dass sie nicht wissen, ob die errechneten Fake-News-Kampagnen überhaupt funktionieren. Es ist unklar, ob solche Kampagnen tatsächlich Menschen erreichen und beeinflussen. Vielleicht werden derart verbreitete Fake News auch vor allem von Bots gelesen. Unklar ist sogar, ob die Firmen nicht selbst Fake sind und die Geldbeträge frei erfunden haben.
„Das Geschäft damit floriert.“
Irreführend. Florierende Geschäfte gehen aus der „Trend Micro“-Analyse nicht hervor. Schließlich haben die Expert*innen keinen Einblick, ob die untersuchten Firmen wirklich existieren und wie viele Geschäfte sie machen. Möglich ist auch, dass die Anbieter*innen sich einfach nur Geld überweisen lassen und keinen Finger rühren. Auf Verbraucherschutz können sich Kund*innen bei solchen Käufen schließlich kaum berufen. Ob die Geschäfte florieren, muss zumindest bezweifelt werden.
„Eine 12-monatige Fake News-Kampagne […] zum Beispiel kostet im Darknet […]“
Falsch. Das anonyme Darknet wird gerne heranzitiert, wenn es im Internet nicht mit rechten Dingen zugeht. Tatsächlich sind alle von „Trend Micro“ aufgelisteten Angebote im normalen Internet zu erreichen, mit jedem handelsüblichen Browser. Klar gibt es solche Angebote auch im Darknet. In diesem Fall kann es aber nicht als Sündenbock herhalten.
Durch Sätze wie diese werden die Gefahren von Fake News radikal überbewertet. Problematisch ist auch ein Fallbeispiel, das die „Tagesthemen“ zitieren:
„Erfundene Nachrichten können auch Proteste auslösen, wie bei diesem Beispiel: Ein angeblich von Polizisten angezündetes Tipi-Zelt amerikanischer Ureinwohner führte vor wenigen Monaten zu einem Sturm der Entrüstung im Netz. Wie sich später herausstellte, war das Foto ein Fake.“
Die Fake News vom brennenden Zelt hat sich im Netz verbreitet, bezog sich aber auf einen bereits bestehenden Konflikt zwischen Demonstrierenden und Polizist*innen in North Dakota. Proteste hat die Fake News demnach nicht ausgelöst, ihr sind Proteste auf der Straße vorangegangen.
Auch die „Trend Micro“-Expert*innen zitieren das Beispiel in ihrer Analyse – als Hinweis darauf, dass Fake News möglicherweise Unruhen auslösen könnten. Dabei verwischen die Grenzen zwischen Shitstorm und Straßenprotest, zwischen Realität und Spekulation. Ob die Meldung bei kommerziellen Fake-News-Fabrikanten bestellt wurde, ist übrigens unbekannt.
Irreführend ist freilich auch der Titel, den „Trend Micro“ seiner Analyse gegeben hat.
„The Fake News Machine. How Propagandists Abuse the Internet and Manipulate the Public“
Näher betrachtet handelt die Analyse nicht nur von Fake News, sondern auch von Social Bots und gekauften Likes, die nur bedingt etwas mit Fake News zu tun haben. Ob das mit dem „Missbrauch“ und der „Manipulation“ funktioniert, ist ungewiss. Fraglich ist auch, ob die einzelnen Angebote wirklich wie eine „Maschine“ arbeiten. Vielleicht sind sie auch nur ein Haufen Schrott.
Welche Wirkung haben Fake News?
Wie gefährlich Fake News für die Gesellschaft sind, ist noch nicht belegt. Erste Studien nach der US-Präsidentschaftswahl stufen die Wirkung von Fake News als eher gering ein. Nur ein kleiner Bruchteil der US-Bürger*innen habe Fake News überhaupt gesehen, schätzen Forscher*innen aus Stanford und New York. Nur rund 14 Prozent der US-Wähler*innen hätten soziale Medien als wichtigste Nachrichtenquelle für die US-Wahl betrachtet. Leitmedium sei immer noch das Fernsehen.
Auch in Deutschland spielen soziale Medien für den Nachrichtenkonsum eine eher geringe Rolle. Nur sieben Prozent der Befragten in Deutschland nennen soziale Medien und Online-Messaging als ihre wichtigste Nachrichtenquelle, das geht aus dem „Digital News Report“ des Reuters Institute hervor. Klassische TV-Formate wie „Tagesschau“ und „Heute“ sind den meisten immer noch am wichtigsten.
Die Reuters-Forscher*innen warnen davor, soziale Medien für die politische Entscheidungsfindung überzubewerten. Vielleicht ist die größte Gefahr von Fake News derzeit, dass wir das Netz für schlimmer halten als es eigentlich ist.
Foto: Pixabay (CC0)