Eine Woche lang begebe ich mich unter falschem Namen in die Filterblase der AfD auf Facebook. Nach vier Tagen habe ich mehr als 100 neue Freund*innen. Sie haben Angst vor einer Invasion und wittern eine Verschwörung der Regierung.

„Merkel muss weg! Merkel muss weg!“ – Berlin Steglitz am 14. September 2016. Zwischenrufer*innen stören eine CDU-Veranstaltung von Angela Merkel und Frank Henkel. Woher kommt dieser Hass? Medienexpert*innen sagen: Viele leben online in einer sogenannten Filterblase, umgeben sich auf Facebook und Twitter von Nachrichten, die in ihr Weltbild passen.

Ich will mir ein Bild davon machen. Mit einem falschen Namen und einem falschen Foto melde ich mich neu auf Facebook an. Dass ich Journalist bin, behalte ich für mich. Einen von der „Lügenpresse“ wollen die Merkel-Hasser bestimmt nicht zum Freund.

Eine Woche lang bin ich Melanie S. aus Magdeburg. Als Melanie like ich Facebookseiten der AfD, schicke wahllos Freundschaftsanfragen an Leute, die AfD-Beiträge geliked haben, trete ihren Gruppen bei. Nach vier Tagen habe ich über Hundert neue Freund*innen.

Aufrufe zum Mord

Meine Facebookgruppen haben Namen wie: „Patriotisch für ein freies Deutschland“, „Deutschland muss endlich aufwachen“, „Bundesregierung, Rücktritt, jetzt“, „Mit Meinungsfreiheit gegen das System“, „Wir sagen Nein zur Scharia“, „Kurz vor 12 – der Dritte Weltkrieg“.

Viele meiner neuen Kontakte haben als Profilbild die deutsche Flagge oder einen blauen AfD-Button. Die meisten teilen und kommentieren fleißig Blog-Artikel über die sogenannte Flüchtlingskrise. Einige verraten in den Kommentaren, dass sie Ausländer*innen den Tod wünschten.

Privates und Tierfotos posten sie auch, aber selten. Obwohl viele die Medien hassen – etwa jeder zweite Artikel in meiner Timeline stammt trotzdem von der „Lügenpresse“. Nur die Auswahl der Artikel ist einseitig. Vor meinen Augen entfaltet sich das Horrorszenario einer Invasion durch kriminelle Ausländer*innen.

  • „Flüchtlinge prügeln mit Stühlen aufeinander ein“ – Focus Online
  • „Flüchtlinge attackieren fünf Frauen“ – Hildesheimer Allgemeine
  • „Arabische Touristinnen rebellieren in einer Bank“- FAZ
  • „Festnahme nach sexuellem Missbrauch in Flüchtlingsunterkunft“ – rbb

Was ich in der Filterblase nicht lese: Dass Geflüchtete nicht so oft straffällig werden, wie vielerorts behauptet wird. Dass Geflüchtete vor allem Opfer von Gewalt werden, nämlich durch Angriffe Rechtsradikaler. Dass es übrigens auch andere Themen auf der Welt gibt.

Angst vor Bürgerkrieg

Ich will tiefer bohren und frage die Leute persönlich: Hattet ihr schon mal selbst Probleme mit Geflüchteten? Habt ihr Angst um euren Job und eure Liebsten? Zehn schreiben zurück. Fast alle, neun Leute, antworten mit der gleichen Geschichte. Die klingt in etwa so:

„Nein, ich selbst hatte noch nie Probleme mit Flüchtlingen. Aber wenn das so weitergeht, dann sind die in der Überzahl und es kommt zum Bürgerkrieg. Dann gibt es Mord und Vergewaltigung. Ich habe Angst um meine Kinder. Die Bundesregierung treibt die Islamisierung ja selbst voran.“

Meinen die das ernst? Können Leute wirklich so viel Angst haben vor Leuten mit anderer Hautfarbe, Sprache und Religion? Tatsächlich wird die Angst vor einer Invasion gezielt von AfD-Politiker*innen angefacht. Zum Beispiel von AfD-Vize Alexander Gauland im Juni 2016:

„Es ist eine Kanzler-Diktatorin. […] Es ist der Versuch, das deutsche Volk allmählich zu ersetzen durch eine aus allen Teilen dieser Erde herbeigekommene Bevölkerung.“

Das mulmige Gefühl ist real

Die Angst treibt meine neuen Facebook-Freund*innen an. Ich sehe Videos von Halal-Schlachtungen. Das Blut von Kühen und Ziegen sickert über die Straße. Meine Kontakte beschimpfen Muslim*innen als Tierquäler*innen. Dass das deutsche Tierschutzgesetz strenge Auflagen für Halal-Schlachtungen vorsieht, diskutiert keiner.

Ich sehe auch Videos von Schlägereien, in denen mutmaßliche Geflüchtete auf mutmaßliche Deutsche einprügeln. Wann und wo das passiert sein soll, steht nicht dabei. Blut und Gewalt: Solche Videos sind Propaganda. Aber das mulmige Gefühl, das sie auslösen, ist real. Ich fühle mich schlecht.

Ich lerne neue Schimpfwörter, mit denen meine neuen Kontakte auch mich beschimpfen würden. Wenn sie wüssten, wer ich bin:

  • Leute, die es als soziale Pflicht sehen, Geflüchteten zu helfen: Gutmenschen.
  • Leute, die Geflüchtete freundlich begrüßt haben: Bahnhofsklatscher
  • Leute, die nichts gegen die Ehe für alle haben: Familienhasser
  • Leute, die niemanden wegen Religion, Herkunft und sexueller Orientierung benachteiligen wollen: Politkorrekte.

Abgrenzung von Rechts

Trotzdem grenzen sich die meisten meiner Kontakte ausdrücklich von Rechts ab. In vielen Gruppen heißt es: „Wir wollen keine Nazi-Parolen. Wir lehnen Hass und Rassismus ab. Wir wollen eine sachliche Debatte führen.“

Es scheint, diese Leute glauben wirklich, dass sie Fakten sammeln. Innerhalb ihrer Blase handeln sie rational. Aber wie sich die Blase schließen konnte, bleibt mir ein Rätsel. Nach einer Woche melde ich Melanie S. wieder von Facebook ab, mit einer Hoffnung. Wenn die Leute merken, der propagierte Bürgerkrieg im Abendland tritt einfach nicht ein, vielleicht bekommt die Filterblase dann Löcher.

Ein Radiobeitrag hierzu lief am 21.09.2016 im Bayerischen Rundfunk, B5 Aktuell.

Foto: Pixabay (CC0)